Die Symbolsprache im Traum


Wir träumen, wenn wir schlafen. Wer schlafen will, sucht einen ruhigen Ort, weich, warm und dunkel. Während alle Aktivität ruht, wird Energie gespeichert. Vorgänge in der Umgebung bleiben während des Schlafes unbemerkt. Während dieser Zeit wirkt das Unterbewusste auf die Seele ein.
Viele Gedanken, die den Menschen tagsüber bestimmen, ihn mit Hemmungen, Ängsten, Wünschen... verbinden, fallen im Traum fort. Dafür kommen in anderer Weise Ängste, Wünsche, Einsichten zum Ausdruck, die das Wachbewusstsein abdrängt.
Unser Religionsbuch zeigt auf Seite 114 ein Bild aus dem berühmtem Kinderbuch von Maurice Sendak. Darin wird diese Geschichte erzählt:

An dem Abend, als Max seinen Wolfspelz trug
und nur Unfug im Kopf hatte,
schalt seine Mutter ihn: 'Wilder Kerl!'
'Ich fress dich auf', sagte Max,
und da musste er ohne Essen ins Bett.
Genau in der Nacht wuchs ein Wald in seinem Zimmer -
der wuchs
und wuchs bis die Decke voll Laub hing
und die Wände so weit wie die ganze Welt waren.
Und plötzlich war da ein Meer mit einem Schiff nur für Max,
und er segelte davon, Tag und Nacht,
und wochenlang
und fast ein ganzes Jahr
bis zu dem Ort
wo die wilden Kerle wohnen.
Und als er dort ankam, wo die wilden Kerle wohnen,
brüllten sie ihr fürchterliches Brüllen
und fletschten ihre fürchterlichen Zähne
und rollten ihre fürchterlichen Augen
und zeigten ihre fürchterlichen Krallen
bis Max sagte: 'seid still!'
und sie zähmte mit seinem Zaubertrick:
er starrte in alle ihre gelben Augen ohne ein einziges Mal zu zwinkern.
Da bekamen sie Angst und nannten ihn den wildesten Kerl von allen
und machten ihn zum König der ganzen wilden Kerle. 'Und jetzt', rief Max, 'machen wir Krach!.'
'Schluss jetzt!' rief Max und schickte die wilden Kerle ohne Essen ins Bett. Und Max, der König aller wilden Kerle, war einsam und wollte dort sein, wo ihn jemand am allerliebsten hatte.
Da roch es auf einmal um ihn herum nach gutem Essen
und das kam von weither quer durch die Welt.
Da wollte er nicht mehr König sein, wo die wilden Kerle wohnen.
Aber die wilden Kerle schrieen: 'Geh bitte nicht fort - wir fressen dich auf - wir haben dich so gern!'
Und Max sagte: 'Nein!'
Die wilden Kerle brüllten ihr fürchterliches Brüllen und fleschten ihre fürchterlichen Zähne und rollten ihre fürchterlichen Augen und zeigten ihre fürchterlichen Krallen.
Aber Max stieg in sein Schiff und winkte zum Abschied.
Und er segelte zurück
fast ein ganzes Jahr
und viele Wochen lang
und noch einen Tag
bis in sein Zimmer, wo es Nacht war
und das Essen auf ihn wartete
und es war noch warm.

Max trägt eine Wolfspelz-Kleidung. "Kleider machen Leute" - diese hier macht ihn "wild". Aber erst als die Mutter ihn "Wilder Kerl!" nannte, wollte er auch den "Wilden Kerl" spielen. Und als die Mutter ihn daraufhin ohne Abendessen in sein Zimmer schickt, und er dort einschläft, kommt er in das Traumland der Monster, die ihn sonst erschrecken. Max bezwingt sie mit einem hypnotischem Blick, tobt mit ihnen zusammen sich aus und schickt sie schließlich - jetzt hat er sich beruhigt und die Gewalt über andere erlangt - zum Schlafen. Im Traum findet er seine innere Balance zurück. Er erwacht und freut sich über das von der Mutter hereingebrachte Essen.

Sendaks Geschichte arbeitet mit Symbolen. Lange vor Maurice Sendak (*1928) zeichnete 1908 in der westfälischen Stadt Soest ein junger Mann seine eigene Geschichte von den "Wilden Kerlen". Er hieß Wilhelm Morgner und wurde nicht alt. Er fiel im Ersten Weltkrieg, erst 26 Jahre alt. Hier siehst Du seine Zeichnung. Gewiss kannst Du Dich an ähnliche Angstträume erinnern. Wie unterscheiden sich die Bilder von Sendak und Morgner? Und wie unterscheidest Du Dich von beiden?